Ich hab da was im Auge

Ein Beitrag aus der Kategorie Was ist denn nun eigentlich Literatur?, und erfreulicherweise wieder einer, der sich des Themas aus fachfremder Perspektive annimmt. Der Fotograf Brooks Jensen kommt in seinem Aufsatz 21 Wege, die eigene Fotografie zu verbessern ([Update 27.11.19: englisch leider nicht mehr zu finden]) zu folgendem Schluss:

„Wir machen keine Kunst, um zu zeigen, wie etwas aussieht. Dafür braucht man nur Augen (oder ein Objektiv). Kunst soll Bedeutung haben, Gefühle spiegeln, Kraft ausstrahlen und eine gewisse Magie beinhalten. Zeig nicht einfach, was das Motiv ist, sondern zeig, was es nicht ist, was es bedeutet, wieso es existiert, für wen es ist, wo es sich befindet und wann es ist. Stell dir einen Roman vor, der nur aus Beschreibungen besteht; ohne Handlung, Motivation, Tiefe oder Dramaturgie wäre ein Roman nur ein Katalog von Objektbeschreibungen. Bei Fotografien ist es genauso.“

Die Forderung, das Kunst gefälligst Bedeutung haben solle, wirkt auf den ersten Blick trivial, ist es aber mitnichten. Generationen von Autoren, Fotografen, Bildhauern, Malern etc. dürften sich mit dieser Frage bereits aufgehalten haben – und an ihr verzweifelt sein. Werke mit Bedeutung zu schaffen möchte natürlich jeder, allein: Wie stellt man es an?

Jensen gibt einen Tipp:

„Der höchste Zweck der Fotografie als Kunst ist die Kommunikation durch Bilder mit Deinen Mitmenschen. […] Wenn Deine Arbeit nicht jemanden bewegt, bewegt sie gar nichts.“

Nun, mir ist zwar noch kein Roman untergekommen, der nur aus Objektbeschreibungen besteht, aber denkbar erscheint mir sowas doch. Wieso auch nicht? Es gibt ja heute nichts, was es nicht gibt. Und bestimmt gäbe es in dem Fall auch Leser, die daran Gefallen finden würden und gerührt reagierten.

Ist das dann also Kunst? Aus Jensens Argumentation kann man das nicht ableiten, schließlich spricht er nicht von einer Wenn-dann-Beziehung, sondern nur vom Zweck der Kunst. Und obendrein spricht er auch nicht davon, ob Kunst nur Kunst sein kann, wenn sie bewegt – oder kann ein Werk nicht einfach gar nichts bewegen und trotzdem Kunst sein? Gerade durch die absolute Nichtswürdigkeit, die es ausmacht, oder aufgrund der Unbewegtheit, mit der sie uns langweilt?

Meiner Meinung nach ist der Aufsatz weniger als Aufzählung aufzufassen, was Kunst soll und wie man das erreicht, sondern vielmehr als eine darüber, was Kunst kann. Können kann. In der Theorie. Wie das genau umzusetzen ist, darüber gibt Jensen keine Auskunft. Seine Liste ist eher eine Anleitung dazu, Ordnung im Kopf junger überforderter Fotografen zu schaffen, die nicht wissen, wie sie ihr Projekt anpacken sollen. Sie stellt eine Übersicht über die Stellschrauben dar, die auf dem Weg zur Kunst angezogen werden können. Mehr nicht, aber auch nicht weniger.

Foto: Gives Ya The Big Eye von Randen Pedersen (unter CC BY 2.0)

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