Vom Schönen, Wahren, Guten

Einer der bekanntesten Namen in der Riege der Germanisten ist ja ein gewisser Joseph Goebbels, genau – der Goebbels, sonst ja eher als “Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda” unterwegs. Das macht insofern Sinn, da man mit zunehmender Beschäftigung mit literarischen Texten auch ein Gespür dafür entwickelt, wie Informationen vermittelt oder Gefühle beim Leser ausgelöst werden können. Nicht zu unrecht bietet die Text- und PR-Branche Literaturwissenschaftlern auch heute noch ein lukratives Arbeitsfeld. Seine Doktorarbeit schrieb er beim jüdischen Professor Max Freiherr von Waldberg.

Was noch weniger bekannt ist: Goebbels war nicht nur als Wissenschaftler tätig, sondern auch als Autor. Lange zögerte ich, bevor ich mir seinen Roman Michael. Ein deutsches Schicksal in Tagebuchblättern aus dem Jahre 1929 antiquarisch bestellte, und noch länger zögerte ich, das Buch aufzuschlagen, als es bereits vor mir lag.

Wieso? Ich hatte Bedenken: Was, wenn Goebbels ein passabler Schriftsteller war? Einer, der sich sehr gut auf sein Handwerk verstand, es allerdings auf dem Gebiet nicht zu Weltruhm gebracht hatte? Was, wenn beispielsweise gleich der erste Satz ein wunderschönes Sprachkunstwerk wäre, dessen Wirkung man sich nicht entziehen kann? Kurz gesagt: Darf man den Schriftsteller Goebbels gut finden – oder verbietet das allein schon seine Tätigkeit als Politiker im NS-Regime? Und: Ist dies überhaupt eine Frage des Dürfens?

Generell gilt ja: Schriftsteller sind auch Menschen, Menschen haben Macken und Fehler, können schwierig oder auch bösartig sein. Keine (oder zumindest keine messbaren) Auswirkungen hat dies auf die künstlerische Produktion. Manche Texte sind bezaubernd und wunderschön, während man aber darauf verzichten kann, Bekanntschaft mit dem miesepetrigen, menschenfeindlichen Autor zu machen. (Wie viele Zeitgenossen fallen einem ein, die intelligent schreiben, aber dann den Fehler machen, in ein achtlos hingehaltenes Mikrophon zu sprechen.)

Goebbels wusste als Leiter der Reichskulturkammer ja am allerbesten, was gute, “gesunde” und “artgemäße” Kunst ausmacht. Diesem Organ zur Überwachung und Kontrolle der Kultur musste jeder Kulturschaffende angehören. Ohne Ariernachweis wurde die Aufnahme jedoch verweigert, was einem faktischen Berufsverbot gleichkam. Hier sind wir aber gleich beim Problem: Macht man die Qualität von Kunst von nicht-künstlerischen Kriterien abhängig, ist das Ideologie.

Übertragen auf Goebbels eigenes Schreiben heißt das für mich: Jegliche Kunst, die ideologisch ist, kann Zeitdokument sein, Reaktion auf politische Missstände oder Akt gesellschaftlicher Kommunikation. Sie hat ihrer künstlerische Kraft aber bereits automatisch höchstens den zweiten Platz zugewiesen und diese somit empfindlich geschwächt.

Ideologische Kunst erhebt sich über den Leser. Sie tut so, als wüsste sie etwas besser und müsste dieses Wissen in der Welt verbreiten. Auch schreibt sie dem Leser vor, welche er Gedanken er haben soll, sobald er das Buch aufschlägt. Das ist bevormundend und raubt den Spaß an der Sache. Insofern war ich nach dem Lesen von Michael ganz beruhigt. Die Fragen, die ich mir gestellt hatte, waren gar nicht mehr von Belang.

Foto: Flickr-User bert boerland (unter CC BY-NC-SA 2.0)

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