Ich mein ja nicht, ich sag ja bloß

Reinhold Messner, der berühmte Bergsteiger, und Christoph Ransmeyer, der etwas weniger berühmte, aber durchaus bekannte deutsche Schriftsteller, sind seit 25 Jahren befreundet. In einem Doppelinterview mit dem SZ-Magazin (30/2014) erfährt man viel Interessantes, z. B. dass Christoph Ransmeyer ein bisschen aussieht wie Steve Buscemi, aber auch, dass seine Schilderungen der schwierigen Umstände einer Expedition ins ewige Eis in seinem Roman Die Schrecken des Eises und der Finsternis sehr eindrücklich waren. So eindrücklich, dass sogar ein Profi wie Reinhold Messner bemerkte:

„Ich dachte: Wenn Eiswandern so schlimm ist, wie darin beschrieben, mache ich die Reise besser nicht.“

Und weiter:

„Ich dachte, Christoph sei die die Romanfigur Mazzini, der nach Spitzbergen geht und sich dort auf den Spuren der berühmten Payer-Weyprecht-Expedition in der Wildnis verliert.“

Da ist man als Literaturwissenschaftler fast versucht zu rufen: Classic! Messner hat damit eine sogenannte intentional fallacy begangen oder zu deutsch: einen intentionalistischen Fehlschluss. Soll heißen: Er hat von den Äußerungen des Erzählers eines Romans auf die Ansichten, Gefühle, Erlebnisse des real existierenden Autors geschlossen.

Nun gut, was ist daran nun eigentlich falsch? Der Autor ist im Entstehungsprozess eines Romans wohl die wichtigste Person: ohne Autor kein Text. Er ist juristisch für seinen Text verantwortlich, schließlich sind sogar der künstlerischen Freiheit Grenzen gesetzt. Es handelt sich um seine Ideen, die seinem Kopf entstammen und die er weiterverbreiten möchte. Manch einer möchte auch Geld mit seinem „geistigen Eigentum“ verdienen und tritt die Verwertungsrechte möglichst lukrativ ab. Mann kann also durchaus fragen: Wieso um alles in der Welt soll man den Autor hier aus der Verantwortung nehmen?

Das muss man natürlich nicht und jeder darf in einem Text das sehen, was er möchte. Allerdings wird es schnell langweilig, wenn sich die Lektüre nur noch auf die Persönlichkeit des Autors konzentriert. Dieses Interesse wäre ja nur mehr rein boulevardesk, wenn nicht gar voyeuristisch. Es würde keinen Unterschied machen, ob man die Bücher einer Schriftstellerin liest oder ob man sich anhört, was im RTLII-Promispecial über sie berichtet wird.

Diese Lesart nennt sich positivistisch und war einst groß in Mode. In Deutschland kam sie wohl im Zuge mit der Begeisterung für das Leben und Wirken Goethes auf. Verständlich: Es gab ja noch keine Klatsch- und Tratschmagazine, kein exclusiv und kein taff, das Bedürfnis war aber vorhanden. Man konnte sich nur mit der Literatur selbst behelfen, um Informationen über das Leben eines großen Autors zu erhalten. Wie das mit Moden so ist, wurde sie irgendwann alt. Man interessierte sich langsam mehr für das Mach- und Kunstwerk: den Text und dessen ästhetische Qualität, weniger für den Schöpfer und Urheber.

Für einen Historiker kann es ja unter Umständen sinnvoll sein, Literatur so zu lesen. Für Literaturwissenschaftler aber weniger. Mit dem Begriff der „Aussageabsicht“ unterstellt man stillschweigend, dass ein Werk immer eine Aussage haben muss. Evtl. hat sich aber der Autor wirklich nichts dabei gedacht. Vielleicht hielt er oder sie nur eine bestimmte Geschichte für erwähnenswert, weil man darüber mal herzlich gelacht hatte.

Für Messner und Ransmeyer hatte die intentional fallacy zwar sehr schöne Auswirkungen und mündete in einer langen Freundschaft. Doch verkennt man damit ein höchst subjektives, auch unbewusstes Moment des Schreibens. Dieses besteht etwa in der Verwirrung, der man manchmal beim Lesen alter Tagebucheinträge ausgesetzt ist. Oder darin, dass man beim Lesen frei erfundener Geschichten aufgewühlt oder gerührt ist. Nicht die Fakten sind dabei entscheidend. Reinhold Messner sagt (und er sagt es schön):

„Der Dichter kommt mit seinen Bildern viel näher an die Wahrheit heran.“

Texte erzählen uns also viel mehr über uns als über den Autor, von dem sie stammen. Anders wäre das ja auch albern. In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts drückte es der heute in Vergessenheit geratene österreichische Schriftsteller Leo Perutz so aus:

„Meine innere Entwicklung ergibt sich für jeden, nur nicht für mich, aus der Lektüre meiner Romane.“

 Bild: Invisible Builder von Lucho Molina (bearbeitet von mir, CC BY NC 2.0)

 

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