Es waren einmal ein CSU-Politiker und ein Muslim

Gehört der Islam zu Deutschland oder nicht? Erkenntnisse sollte man sich von dieser Diskussion nicht erwarten. Einen erzählerischen Zweck verfolgt sie dennoch.

Horst Seehofer ist Politiker der CSU, aber auch ein großer Geschichtenerzähler. Darum hat er sich wieder einmal am Lagerfeuer niedergelassen und gesagt: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten.“

Zuvor war zwar niemand in Erscheinung getreten, der Weihnachten und Ostern oder gar freie Sonntage abschaffen wollte. Trotzdem pflichteten viele Seehofer bei. Viele widersprachen. Historiker schrieben Essays darüber, dass der Islam eben doch zu Deutschland gehöre, andere darüber, dass eben nicht. Zurück blieb, wie immer wenn Seehofer sich wieder vom Lagerfeuer entfernt hat, nur ein schales Gefühl. 

Das entsteht jedes Mal, wenn es gelingt, eine Diskussion mit unerheblichen Beiträgen zu kapern und alle nachziehen. Denn ob der Islam, die Muslime, diese oder jene religiöse Spielart zu Deutschland gehören oder nicht – es ist völlig unerheblich. Die Frage ist sinnlos. Wäre sie es nicht, würde das bedeuten, dass es bedeutsame und auch verschiedene Konsequenzen hat, je nachdem, wie die Antwort ausfällt. Das aber ist nicht der Fall.

Mal ganz abgesehen davon, wie es funktionieren könnte, dass sich eine Gesellschaft in irgendeiner Angelegenheit überhaupt auf eine spezifische Antwort einigt: Wäre die Antwort Nein, hätte das keine konkreten Folgen. Kein Muslim könnte ausgewiesen werden, keiner dürfte überwacht werden, keiner dürfte bei der Arbeitssuche benachteiligt werden. Jeder ist durch das Grundgesetz geschützt. Würden alle muslimischen Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen? Nun, nicht zwangsläufig.

Keine Antwort in der Frage um den Islam hat Konsequenzen

Wäre die Antwort dagegen Ja, wäre das ein nettes Signal. Aber konkrete Vorteile könnten die Muslime dann auch nicht daraus ziehen. Sie würden nicht bevorzugt werden, keine Kitaplätze würden für sie freigehalten, niemand würde eine bessere Wohnung bekommen. Würden alle muslimischen Mädchen am Schwimmunterricht teilnehmen? Nicht zwangsläufig.

Es ist also völlig gleich, wie man die Frage nach dem Islam beantwortet. Aber worum geht es dann? Erzählen ist auch eine soziale Praxis: Man formuliert Normen und Regeln, ein ganzes Weltbild, versichert sich seiner selbst. Einer erzählt, andere hören zu – so entsteht eine Gruppe, die durch die Erzählung eine gemeinsame Basis erhält. Seehofer schafft (oder befeuert) einen Mythos, in dem sich jeder aufgehoben und geborgen fühlen kann, wenn er oder sie das möchte. Die Dynamik als solche ist toll. Wenn alles gut ist, führt sie unter anderem dazu, dass die größten Geschichten und Bögen entstehen, zu denen die Menschheit fähig ist: Religion, Kunst, Musik, Literatur.

Und wenn nicht? Wenn keine Arbeitsplätze, Kitaplätze, Wohnungen da sind, Menschen aufstocken müssen, vielleicht Angst haben, dass ein Roboter sie ersetzen wird, und niemand da ist, der eine Vorstellung von einer Zukunft hat? Wer solche Ängste hat, wird der sich dann freuen, dass immerhin der Islam nicht zu Deutschland gehört? Hm.

Gleichzeitig hört jede Muslimin, jeder Muslim in Deutschland ständig die Botschaft: „Du bist problematisch, wir wissen selbst nicht so ganz genau, inwiefern und warum. Aber irgendwas ist anders, seit du da bist komisch, wir kommen einfach anscheinend nicht so richtig klar mit dir.“ Würde es da wundern, wenn mancher Muslim sich innerlich abwendet von Politik und Gesellschaft, die ihm das vermitteln?

Kurzfristig mag die Taktik verfangen, aber langfristig…

All das blendet Seehofer aus, ob aus Kalkül oder nicht. Sein Erzählen erfüllt keine soziale Funktion, sondern eine rhetorische. Er will überzeugen, nämlich davon, eine bestimmte Partei – seine – zu wählen. Vielleicht verfängt das kurzfristig und überzeugt Wähler, die sich nicht mehr gehört fühlen. Aber das steht nicht zweifelsfrei fest.

Wie man die Situation vieler Bürgerinnen und Bürger in Deutschland konkret verändern könnte – diese Frage ist eine fundamental andere als die nach dem Islam. In der Sache nützt Letztere niemandem. Auf lange Sicht vertieft Seehofer mit seinen Erzählungen die Risse, die sich durch die Gesellschaft ziehen. Auch die kann man kitten, klar, auch dazu sind geeignete Erzählungen in der Lage. Welche das einmal sein werden, ist eine spannende Frage. Im Moment sind keine in Sicht.

Bild: Hans Veth von Unsplash

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