Wirkung des Wortes

Ralf Höcker war sich der fehlenden Wirkung und Überzeugungskraft seiner Person bewusst, darum hat er wohl ein Buch geschrieben. Von seinem Lexikon der Rechtsirrtümer und den entsprechenden Folgewerken haben sich unzählige Exemplare und Auflagen verkauft. Darin räumte Höcker mit allerlei Mythen des Alltags auf (Achtung, Stand 2007): Im Fitnessstudio darf man eigene Getränke verzehren. Gastwirte haften unter gewissen Umständen sehr wohl für die Garderobe ihrer Gäste. Eltern haften auf Baustellen gar nicht unbedingt für ihre Kinder. Und sogar reduzierte Ware kann man zurückgeben. Solche Dinge. Wissen, das sich vor allem abends beim Feierabendbier wie vollendete Weisheit ausnimmt.

Die deutschen Gesetze legen einen – manchmal engeren, manchmal weiteren – Rahmen für alles fest, was in der Gesellschaft erlaubt ist und was nicht. Als promovierter Jurist kann Höcker sich eigentlich auf seine wasserdichte Expertise verlassen – das Problem ist nur: Niemand glaubt ihm.

Die Mitarbeiter im Fitnessstudio weisen einen dezent drauf hin, die mitgebrachte Wasserflasche verschwinden zu lassen und die Verkäufer bei C&A weigern sich konsequent, reduzierte, aber beschädigte Ware anzunehmen. Was also tun?

Höcker akzeptierte, dass sich gewisse Überzeugungen in der Gesellschaft einfach halten und lange brauchen sich zu ändern. Ein Mensch allein kommt dagegen nicht an, also verlieh er seinen Reklamationen einen Touch des Ewigen: Er kopierte einfach die betreffenden Passagen aus seinen Büchern und legte sie an der Kaufhauskasse vor.

Die Folge waren Verwirrung, rege Telefonate mit allerlei Vorgesetzten und letzten Endes auch – Erfolg. Lange Vorrede, kurzer Sinn: Der Wirkung des gedruckten Wortes konnte und kann sich niemand entziehen. Was irgendwo geschrieben steht, scheinen die Leute zu glauben, was man sich erzählt, wird meist nur gemunkelt. Wie hätte es gewirkt, wenn Luther seine Thesen nur laut verkündet hätte, anstatt sie an die Schlosskirche zu nageln? Oder Mose und die Zehn Gebote: Ob es sie wirklich gab, werden wir nie erfahren – es ist aber von hohem symbolischen Wert, dass das Christentum auf einem geschriebenen, ja sogar in Stein gemeißelten Gesetz beruht.

Ob die Geschichte mit den Rechtsirrtümern so heute noch passieren könnte, ist aber fraglich. Eher würde man angeschnauzt und nicht für voll genommen. Dank der Digitalisierung kann ja heute jedermann seine geistigen Ergüsse im Blogformat in das Internet hineinkippen und es wird immer schwieriger, aus der Masse an Informationen, die relevanten, gemeißelten, wahren herauszufiltern. Vielleicht ist das auch die Rache der Wörter dafür, dass mit ihnen so oft Schindluder getrieben wird.

Foto: explosion von Flickr-User asecondhandconjecture (unter CC BY 2.0)

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