Salinger – sein oder nicht sein?

Jerome David Salinger, besser bekannt als J. D. Salinger hat einst verfügt, dass der Großteil seines Nachlasses frühestens 50 Jahre nach seinem Tod veröffentlicht werden dürfe. 2010 starb er im Alter von 91 Jahren – das bedeutet, dass wir uns bis dahin also noch ein bisschen Zeit vertreiben müssen. So dient mir Salinger heute als Anknüpfungspunkt an die Frage, was denn eigentlich den persönlichen Stil eines Schriftstellers ausmacht.

Ein Artikel auf tagesschau.de gab mir vor einigen Monaten Anlass, nachzudenken. Manuskripte waren aufgetaucht und zu einem Spottpreis im Internet verkauft worden. Experten glaubten, in diesen verschollene Texte Salingers zu erkennen – oder, wie es im Link lapidar heißt: Experten halten die Texte für echt.

Klar, Salinger hat ab den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts keine Texte mehr zur Veröffentlichung freigegeben. Das verwundert, hatte er doch mit dem Fänger im Roggen einen bis heute nachhallenden Welterfolg eingeleitet (kurz nach Erscheinen bereits über 10 Mio. verkaufte Exemplare, ein long seller). Salinger verweigerte sich einfach. Sein Pulver schien er aber noch nicht verschossen zu haben, vielmehr soll er noch äußerst produktiv gewesen sein. Das trägt wiederum dazu bei, dass viele Menschen fast gierig auf diese Texte gewartet haben.

Selbst, wenn man sich hier nun relativ sicher sein kann, dass es sich wirklich um Erzählungen Salingers handelt – wie kann man sich denn eigentlich sicher sein? Woran machen die Experten das fest? Sicher stützen sie sich wohl auf Themen und Motive, auf Plotstrukturen, auf Satzbau, Wortwahl und den Einsatz von Stilmitteln. Und doch – wenn nicht irgendein Experte Salinger bei der Niederschrift beobachtet hat, gibt es keine 100%ige Sicherheit in dieser Angelegenheit.

Was wäre, wenn man einen perfekten Schreibcomputer mit all diesen Parametern füttert, die man aus bekannten Werken eines Schriftstellers oder einer Schriftstellerin abstrahiert hat – und dann am Schluss auf den großen roten Knopf mit der Aufschrift „Roman schreiben“ drückt? Käme ein täuschend echter Salinger heraus oder nur ein müder Abklatsch?

Letztlich ist das schwer zu sagen – nähme man auch Komponente für Komponente aus der Gleichung heraus, ließe sich doch nie der Punkt finden, an dem „die Literatur sitzt“, die literarische Qualität. Bei einem literarischen Text haben wir es mit komplizierteren Gebilden zu tun als beispielsweise einem Uhrwerk. Dieses funktioniert halt, oder eben nicht.

Und darüber hinaus spielt noch viel mehr mit hinein, der große Zusammenhang, die Mode, der Zeitgeist: Eine perfekte Goethe-Kopie wäre heute vielleicht fad, einfach schon auch deswegen, weil wir Leser uns verändert haben. Qualität und Erfolg eines Werkes speisen sich natürlich zu großen Teilen aus der handwerklichen Kunst des jeweiligen Autors, aber eben nicht nur.

Bild: Salinger collection von Martin Kalfatovic (unter CC BY-NC-SA 2.0), bearbeitet von mir

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