Die Version, die aus der Kälte kam

David Cornwell ist 82 Jahre alt und schreibt für sein Leben gern Thriller, Krimina- und Spionageromane. Ach ja, er hat auch ein Pseudonym, das ungleich bekannter ist: John le Carré, vielfach preisgekrönter englischer Autor.

Der internationale Durchbruch gelang ihm 1963 mit seinem dritten und wohl bekanntesten Roman Der Spion, der aus der Kälte kam. Dieser wurde inzwischen schon so oft neu aufgelegt, dass man ob der Anzahl an Ausgaben schier den Durchblick verliert. 2013 gab es zum 50-jährigen Jubiläum sogar eine komplette Neuübersetzung. 2011 kam die Verfilmung von Tinker, Tailor, Soldier, Spy mit Gary Oldman in der Hauptrolle in die Kinos. Auf Deutsch klingt das zwar zahmer und ganz und gar nicht cool – Dame, König, As, Spion – die Nachfrage nach packenden Thrillern ist aber, wie es scheint, auch nach Ende des Kalten Krieges ungebrochen.

Meine Ausgabe des Spions ist etwas altbacken mit wunderschönem Cover, das man so eher auf Regalbrettern älterer Damen vermuten würde. Da heißt es dann schon mal „Ich würde das getan haben“ anstatt „Ich hätte das getan“ – also teilweise sehr eng am englischen Original übersetzt (vgl. „I would have done that“). Als störend empfand ich das beim Lesen aber eher weniger, vielmehr erinnert es einen hie und da wieder daran, dass man einen Roman aus einer längst vergangenen Zeit in der Hand hält.

Da geht es hoch her, englische Spione gehen in den Grenzstreifen zur DDR oder sogar direkt in die „Zone“, ostdeutsche Spione wiederum wandern durch die Straßen von London und rekrutieren munter drauf los. Der Spion, der aus der Kälte kam ist meiner Meinung nach eines dieser Bücher, das Geschichtesbücher zwar nicht ersetzt, aber doch ein viel authentischeres Bild der absolut verhärteten Fronten zeichnet als jede Unterrichtseinheit. Ob alles wirklich so abgelaufen ist? Keine Ahnung – aber Cornwells eigene Erfahrung als Agent beim In- und Auslandsgeheimdienst (MI5 und MI6 – bekannt vielleicht aus den James Bond-Filmen) legt mir diese nahe.

Apropos James Bond – verschiedener könnten die Welten von Alec Leamas und 007 kaum sein: Auf der einen Seite Martini, Sportwagen, schöne Frauen, auf der anderen Seite der gestrandete Alkoholiker Leamas. Blass und langweilig ist er, aber dadurch sicherlich eher zum ‚echten‘ Agenten geeignet. Denn die dürfen um jeden Preis Aufmerksamkeit vermeiden. Mit Aston Martin oder Lotus nimmt sich das eher schwierig aus.

Denn das Klima ist rau: Leamas betreut ein Spionagenetzwerk in der DDR und verliert einen Mann nach dem anderen an den schier übermächtigen Widersacher auf DDR-Seite, Hans-Dieter Mundt. Er wird aus Deutschland abberufen und in der Folge zum Alkoholier und kriminell. Oder doch nicht? War alles nur Fassade? Ein letzter Auftrag führt ihn tief hinein in die DDR, um Mundt zu erledigen. Oder doch nicht?

Le Carré haut einem die verschiedenen Möglichkeiten nur so um die Ohren. Wer jetzt wann, wieso und in welcher Hinsicht wessen Doppel-, Dreifach- oder Vierfachagent ist – geschenkt, aber äußerst spannend. Meine Literaturwissenschaftler-Paranoia ging sogar so weit, dass ich in der Hauptfigur schon einen Doppelagenten vermutete, im unzuverlässigen Erzähler sowieso. Das war denn dann doch nicht so – oder doch? Selbst herausfinden.

Bei der abschließenden Gerichtsverhandlung geben Leamas und Mundt (und einige anwesende Anwälte) dann eine Urszene der Interpretation: Bestehende Tatsachen werden mal so, mal so ausgelegt, um die Agenten Ost oder West zuordnen zu können. Jede Möglichkeit ist plausibel. Da fühlt man sich an die Rolle des Lesers eines literarischen Textes erinnert, der von seinen Vorgesetzten, die mehr wissen, in der Kälte stehen gelassen wird und auch nicht weiß, woran er ist.

Am Schluss, so viel kann ich verraten, gibt es aber im Gegensatz zur Lektüre dann doch eine richtige Version.

Foto: spion von nebelherz (unter CC BY-NC 2.0)

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