глупо любовь

Vor neun Jahren um die Zeit der Heuernte

beginnt die Erzählung der Frau N. N., eine, nun ja, Erzählung von Anton Tschechow. Zwei junge Verliebte, Pjotr Ssergejewitsch und Natalja Wladimirowna, verbringen eine schöne Zeit miteinander. Wikipedia verrät mir, dass Wiesen in Mitteleuropa bis zu sechs Mal im Jahr gemäht werden. Wie es sich genau mit russischen Wiesen verhält, weiß ich leider nicht. Der Text erzählt und für mich klingt es so, als wäre es irgendwann im Spätsommer.

Letzten Endes ist das unerheblich, denn die Geschichte von Pjotr und Natalja, die aus der Sicht von Letzterer erzählt wird, endet nicht gut. Sie endet auch nicht wirklich schlecht. Irgendwie endet sie auch überhaupt nicht und ein unbedachtes “Typisch russisch!” liegt mir auf der Zunge. Aber ich habe wenig Ahnung von russischer Literatur.

Eine schöne Geschichte wird da erzählt, die über das tragische Nicht-zustande-Kommen von Liebe hinausgeht und auch den täglichen Umgang der Protagonisten damit zeichnet. Doch wie ist das möglich? Handelt es sich nicht nur um eine kurze Erzählung? Tatsächlich – das stimmt. Aber Tschechow, der von 1860 bis 1904 lebte und im deutschen Badenweiler mehreren Herzanfällen erlag, schafft es auf nur fünfeinhalb Seiten, ein enormes Panorama zu entfalten, wie ich es selten erlebt habe.

Er schafft auf ein paar Seiten etwas, was anderen auf 900 nicht gelingt. Durch eine Reihe von kleinen Formulierungen reist man mit durch die Jahre:

Mein Vater und mein Bruder, die nicht gewohnt waren, mich lachend und ausgelassen zu sehen, blickten mich erstaunt an und begannen gleichfalls zu lachen.

Dieser Satz eröffnet viele Fragen: Wo ist die Mutter? Ist sie tot? Warum ist Natalja anscheinend ein so schwermütiger Mensch? Etc. In nur einem einzigen Satz wird eine spezifische, wohl sehr komplexe Familiensituation geschildert. Nur: Alles explizit zu machen muss man eben nicht, um eine dichte Erzählatmosphäre zu schaffen. Tschechow nimmt das große Ganze in den Blick, die kleinen menschlichen Befindlich- und Eitelkeiten lässt er außen vor. Wie käme man sonst dazu, den Tod des Vaters der Hauptfigur so schön lapidar abzutun:

Mein Vater starb, und ich wurde älter

Vor lauter Dramatik vergisst man manchmal, dass das menschliche Leben halt doch eigentlich die meiste Zeit undramatisch und langweilig ist. Dass es eben nicht von Drehbuchautoren geskriptet wird. Und dass man es eben trotzdem aushalten muss. Oder kann.

Was weiter kam? Nichts.

Foto: Flickr-User Nicholas Lan (unter CC BY-NC-SA 2.0)

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