Ist das noch Brecht?

Der Regisseur Frank Castorf hatte das Stück Baal von Bertolt Brecht am Münchner Residenztheater inszeniert. Baal ist ein junger Dichter, dessen Entwicklung mit dem Ausdruck „auf die schiefe Bahn geraten“ noch milde umschrieben ist. Castorf erweiterte den Dramentext nun, etwa mit Fragmenten des französischen Autors Arthur Rimbaud oder Szenen aus dem Film Apocalypse Now Redux, eine um 50 Minuten verlängerte Version von Apocalpyse Now (1979) von 2001.

 

Durfte er das? Der Suhrkamp-Verlag sagte Nein. Der fungiert als Vertreter der Tochter von Bertolt Brecht, Barbara Brecht-Schall, und wollte dem Residenztheater künftige Aufführungen verbieten. Die Bearbeitung sei nicht autorisiert, hieß es. Vor dem Landgericht einigte man sich dann mit einem Vergleich: Das Residenztheater gibt eine Unterlassungserklärung ab und darf das Stück in der Form noch zweimal zeigen.

 

Warum kann Suhrkamp sich überhaupt beschweren? Im Fall von Brecht ist die sogenannte Regelschutzfrist noch nicht ausgelaufen. Sie gibt an, wie lange die Werke nach dem Tod des Urhebers noch geschützt sind. In Deutschland läuft die Frist am 1. Januar des Folgejahres ab, nachdem 70 Jahre um sind. Brecht starb am 14. August 1956, seine Werke werden also am 1. Januar 2027 gemeinfrei und dürfen dann von jedem genutzt werden, ohne nochmal nachzufragen.

 

Bis dahin haben die Erben auch das Urheberrecht geerbt. Und das besagt: Der Urheber kann darüber bestimmen, ob und wie sein Werk zu veröffentlichen ist. Zudem hat er laut §75 („Beeinträchtigung der Darbietung“) das Recht,

 

„eine Entstellung oder eine Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.“

Bearbeitungen sind zwar erlaubt, erfordern aber eben die Einwilligung des Urhebers (§23). Also ist es für meinen naiven juristischen Blick das gute Recht von Suhrkamp, hier zu klagen. Aus künstlerischer Sicht aber? Könnte das Ansehen Brechts oder des Stücks nachhaltig beschädigt oder sogar zerstört werden, weil ein Hubschrauber mit amerikanischer Flagge auf der Bühne steht? Wer das glaubt, hat anscheinend wenig Vertrauen in Brecht – und mehr Achtung oder Angst vor dem jeweiligen Regisseur. Und das ist, bei allem Respekt vor Frank Castorf, ja nun doch etwas unangebracht.

 

Auch wirkt es auch merkwürdig: Sogar wer mit Theater nichts am Hut hat, könnte in Deutschland schon mal von Frank Castorf gelesen haben. Vielleicht war Suhrkamp zu gutgläubig, denn zunächst gestattete man die Aufführung, kassierte wohl auch Tantiemen für die Premiere. (Nachtrag II: Bei nachtkritik.de gibt es ein ausführliches Protokoll des letzten Prozesstags. Man erfährt auch, wie es zu dem Missverständnis zwischen Verlag und Theater kommen konnte.)

 

Vielleicht war es ein großer Schock, vielleicht auch nicht. Wer weiß, was die Erben dazu verleitet hat. Theater ist ja auch ein hartes Business und Brecht eine Marke mit starkem Kern. Damit der nicht ausfranst, muss die Kunst zurückstecken.

 

Nachtrag: Brecht hätte seine helle Freude an der Inszenierung gehabt, schreibt Alexander Kohlmann für die taz.

 

Bild: Aufnahme von Kiss me Kate, das 2014 im Monomoy Theatre in Chatham in den USA lief (cc by 2.0) – es fungiert als reines Symbolbild für das Theatermachen. Von Brecht nimmt man vorsichtshalber ja nichts…

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